Der Blick auf das Alte Ägypten ist wichtig für unsere moderne Kultur

Die Basler Ägyptologin Susanne Bickel entdeckte im Tal der Könige in Ägypten unter anderem ein seit über 3000 Jahren unberührtes Mumiengrab sowie eine der ­ältesten Sonnenuhren der Welt.

Interview: Beat Glogger

Die Ägyptologin Susanne Bickel entdeckte im Tal der Könige eine der ältesten Sonnenuhren der Welt.
Universität Basel/M. Kacicnik

Im Jahr 2011 ­haben Sie ein ­unberührtes ­Mumiengrab ­gefunden. Wie hat sich das ­Betreten dieser Stätte ­angefühlt?Susanne Bickel:Das war überaus eindrücklich. Normalerweise müssen wir uns meist mit Stätten begnügen, die durch Grabräuber geplündert und weitgehend zerstört sind. Doch dann entdeckten wir dieses Grab, das für über 3000 Jahre verschlossen und völlig unberührt war. Da lag nun dieser einzelne Sarg. Die Inschrift darauf identifizierte die darin liegende­ Frau als Nehemes-Bastet, eine Sängerin im Tempel des ­Gottes Amun.

Hatten Sie keine Skrupel, den Sarg der Sängerin zu öffnen? Doch, ein kleines bisschen schon. Diese Frau wurde schliesslich für die Ewigkeit bestattet. Und nun kommen wir daher und graben alles­ aus. Die Alten Ägypter hätten wohl nicht gewollt, dass ihre Toten einmal in Museen ausgestellt werden. Etwas beruhigt unser Gewissen jedoch: Die Pharaonen glaubten, dass jemand so lange im Jenseits weiterlebt, wie sein ­Name auf der Erde bekannt bleibt und ausgesprochen wird. Und das tun wir letztlich durch unsere Arbeit – das gibt mir ein gutes ­Gefühl.

Haben Sie eigentlich Angst vor dem berüchtigten Fluch der Pharaonen? In den Jahren nach der Ausgrabung des Tutanch­amun 1922 verstarben einige der beteiligten Archäologen. Davor habe ich keine Angst. Unter diesen Forschern waren ganz einfach viele alte Männer. Ihr Tod hatte mit einem vermeintlichen Fluch nichts zu tun.

Im Alten Ägypten wurden nur Könige und ihre Angehörigen aufwendig bestattet. Von der normalen Bevölkerung finden sich heute fast keine Spuren mehr. Erhalten Sie durch Ihre Ausgrabungen nicht ein ver­zerrtes Bild? Nicht unbedingt. Aus unseren Funden können wir durchaus ein Bild der Gesellschaft herauslesen. Wir sehen zum Beispiel, dass die Menschen eine Menge Krankheiten hatten: Zahnprobleme, Verformungen der Wirbelsäule, Gelenkabnutzungen – und das im Alter von 30 Jahren. Das zeigt uns, unter welchen Umständen die Ägypter zu leben hatten: Sogar die Reichsten waren teilweise schlecht ernährt und körperlich stark belastet.

Die ägyptische Regierung stellt strengste Bedingungen für Ihre Forschung auf. Macht Ihnen das Schwierigkeiten? Das ist tatsächlich so. Seit den 70er-Jahren gibt es ein strenges Gesetz: Kein einziger Erdkrümel und kein Holzsplitter, der älter als 100 Jahre ist, darf aus dem Land gebracht werden. Das macht aus der Sicht Ägyptens aber auch Sinn. Früher hat sich Europa in den ägyptischen Grabkammern bedient wie in einem Supermarkt. Aber natürlich würde ich unsere Funde gerne mit moderneren Methoden analy­sieren können, als das derzeit in Ägypten möglich ist.

Würde eine wirklich ehrgeizige Forscherin nicht doch etwas aus dem Land herausschmuggeln? Oh nein. Erstens möchte ich den Rest meines Lebens lieber nicht in einem ägyptischen Gefängnis verbringen. Und zweitens will ich auf keinen Fall mein Team und unsere Arbeit gefährden. Selbst wenn wir mit modernen Analysegeräten beispielsweise das Alter von Funden viel genauer bestimmen könnten. Aber wir haben einen langen Atem. Vielleicht verbessert sich die Situation in der Zukunft etwas. Zudem finden wir ja auch heute schon wichtige Rückschlüsse auf die damaligen Lebensbedingungen oder auf kulturelle Fragen, etwa den Umgang mit dem Tod.

In der Schweiz fordern politische Hardliner, dass die Wissenschaft ihren volkswirtschaftlichen Nutzen belegen soll, damit sie Geld vom Staat erhält. Hat Ihre Forschung einen solchen ­Nutzen? Einen direkten wirtschaftlichen Nutzen hat sie wohl nicht. Die Wirtschaft funktioniert aber nur, wenn es den Menschen gut geht, wenn sie gebildet sind und ihren Interessen nachgehen können. Würden wir nur wirtschaftlich denken und handeln, würden wir total verkümmern. Ein Blick auf das Fremde wirft hingegen immer wieder wichtige Fragen über unsere eigene Kultur auf. Die Ägypter lebten eine Kultur, die nicht nur auf Handwerk und Produktion ausgerichtet war, sondern sich auch mit nicht materiellen Themen wie Leben und Tod beschäftigt hat. Vielleicht sind deshalb viele Menschen so fasziniert vom ­Alten Ägypten.

Viele davon fesselt aber vorallem die Mystik des Alten Ägyptens. Weshalb ist das so? Schon die Römer waren von der Mystik und Symbolik des Alten Ägyptens fasziniert. Das ist auch heute noch so: Die altägyptische Kultur ist uns gleichzeitig vertraut und fremd. Sie spricht uns ästhetisch an, und in unsere klassische und biblische Tradition floss vor langer Zeit eine Menge ägyptisches Gedankengut ein. Doch das Fremde daran weckt auch viele Missverständnisse. Wir Wissenschaftler trennen das Mysteriöse klar ab. Wir arbeiten nur mit Fakten, die wir durch Funde und Schriften belegen können.

Und Sie selbst, sind Sie spirituell berührt von Ihrer Forschung? Manchmal, ja. Beispielsweise, wenn ich mir ausmale, wie sich das Leben für die Leute damals angefühlt hat, eingebettet in eine Welt voller Götter und Dämonen, geregelt durch den Sonnenlauf. Oder wenn ich mich mit den Jenseits­vorstellungen der Alten Ägypter befasse.

Was wünschen Sie sich für Ihr eigenes Leben nach dem Tod? So weit denke ich eigentlich gar nicht voraus. Ich wünsche mir nichts Spezielles – und sicher keine Mumifizierung. (lacht)